Meine Frage bezieht sich auf die Feststellung des Kasus einer Nominalphrase. Häufig wird, z.B. auf Internetforen, suggeriert, dass der Fall allein mit der Frageprobe erfragt werden könnte. Stimmt das? Falls nicht, welche anderen Methoden gibt es?
Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
Na ja, ich suche belastbarer Regeln, für Fälle, bei denen sich mein Bauchgefühl nicht entscheiden kann
Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
Skripte der Uni Jena, leider im Detail kompliziert und als Erinnerungsstütze nicht griffig genug
Kasusbestimmung ohne Frageprobe
Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.
Die Frageprobe ist die in der Schulgrammatik gängige Variante der Kasusbestimmung. Wie Sie schon richtig annehmen, gibt es jedoch auch andere Möglichkeiten.
Teilweise kann man den Kasus an den Formen der Wörter erkennen. Bei Substantiven im Deutschen gibt es fünf unterschiedliche Flexionsklassen:
I endungslos
Nominativ |
Zahl |
Genitiv |
Zahl |
Dativ |
Zahl |
Akkusativ |
Zahl |
II stark
Nominativ |
Raum |
Genitiv |
Raum(e)s |
Dativ |
Raum(e) |
Akkusativ |
Raum |
III stark (Eigennamendeklination)
Nominativ |
Anna |
Genitiv |
Annas |
Dativ |
Anna |
Akkusativ |
Anna |
IV schwach
Nominativ |
Prinz |
Genitiv |
Prinzen |
Dativ |
Prinzen |
Akkusativ |
Prinzen |
V Plural (für alle Klassen identisch)
Nominativ |
Leute |
Genitiv |
Leute |
Dativ |
Leuten |
Akkusativ |
Leute |
Anhand der Beispiele wird deutlich, dass kaum Formen eindeutig erkennbar sind, da sie im Flexionssystem mehrmals vorkommen. In der Sprachwissenschaft nennt man dies Synkretismen.
Hierbei ist zu beachten, dass die gesamte Nominalgruppe zusammenhängend flektiert wird. Da die Endungen der Substantive häufig identisch sind, kann man meist erst durch den Artikel den Kasus erkennen. Eine Nominalgruppe enthält einen Kern (lexikalisches Zentrum) und einen Kopf (grammatisches Zentrum) sowie ggf. zusätzliche Attribute (z.B. Adjektive). Der Kern ist meist ein Substantiv. An diesem ist der Kasus, wie die Tabellen zeigen, meist nicht eindeutig erkennbar. Deshalb erkennt man den Kasus am Kopf der Nominalgruppe. Dieser ist meist ein Artikel. Enthält eine Nominalgruppe keinen Artikel, kann auch ein Adjektiv der Kopf sein, an dem der Kasus erkennbar ist. Das Adjektiv wird dann stark dekliniert. Folgt das Adjektiv auf einen Artikel, wird es schwach dekliniert, es zeigt dann nicht den Kasus an.
In den folgenden Beispiel-Tabellen ist immer der Kopf der Nominalgruppe, also das grammatische Zentrum, hervorgehoben.
endungslos
Nominativ |
die Zahl, die hohe Zahl |
Genitiv |
der Zahl, der hohen Zahl |
Dativ |
der Zahl, der hohen Zahl |
Akkusativ |
die Zahl, die hohe Zahl |
stark
Nominativ |
der Raum, der große Raum |
Genitiv |
des Raum(e)s, des großen Raum(e)s |
Dativ |
dem Raum, dem großen Raum |
Akkusativ |
den Raum, den großen Raum |
Schwach
Nominativ |
der Prinz, der junge Prinz |
Genitiv |
des Prinzen, des jungen Prinzen |
Dativ |
dem Prinzen, dem jungen Prinzen |
Akkusativ |
den Prinzen, den jungen Prinzen |
Plural
Nominativ |
die Leute, die fleißigen Leute, fleißige Leute |
Genitiv |
der Leute, der fleißigen Leute, fleißiger Leute |
Dativ |
den Leuten, den fleißigen Leuten, fleißigen Leuten |
Akkusativ |
die Leute, die fleißigen Leute, fleißige Leute |
Aufgrund der Artikel sind wesentlich weniger Formen identisch, einige können eindeutig identifiziert werden. „Des Raumes“ kann beispielsweise eindeutig als Genitiv identifiziert werden, während „die Zahl“ sowohl Nominativ als auch Akkusativ sein kann.
Kann der Kasus aufgrund der Flexion noch nicht eindeutig bestimmt werden, ist der Kontext im Satz entscheidend. Sätze sind im Deutschen vom Verb aus aufgebaut. Verben „fordern“ bestimmte Ergänzungen im Satz. Dabei ist für jedes Verb festgelegt, welche Satzglieder im Satz enthalten sein müssen. Dieses Prinzip nennt sich Valenz. Weiß man, welche Ergänzungen ein Verb fordert, kann dies bei der Satzgliedbestimmung helfen.
Das Verb sehen fordert beispielsweise ein Subjekt und ein Akkusativobjekt (Frageprobe: Wer sieht wen?). Bei
Anna sieht einen Baum.
ist aufgrund der Bedeutung eindeutig, dass Anna das Subjekt ist und somit im Nominativ steht und einen Baum das Akkusativobjekt ist und im Akkusativ steht. Bei
Anna sieht Klaus.
ist aufgrund des Kontextes dagegen keine eindeutige Bestimmung möglich. Da Subjekt-Verb-Objekt die häufiger vorkommende Anordnung von Satzgliedern ist, könnte man darauf schließen, dass Anna das Subjekt und Klaus Objekt ist. Da Satzglieder aber im Satz verschiebbar sind, ist diese Zuordnung nicht eindeutig. In diesem Beispiel liegt eine Mehrdeutigkeit vor, die Kasus sind hier nicht eindeutig bestimmbar.
Welche Ergänzungen ein Verb fordert, kann man beispielsweise im elektronischen Valenzwörterbuch (E-Valbu) des IDS Mannheim nachschauen (https://grammis.ids-mannheim.de/verbvalenz).
Nicht nur Verben, sondern auch Präpositionen können von Nominalgruppen einen bestimmten Kasus "fordern". Wegen steht z.B. immer mit dem Genitiv, bei immer mit dem Dativ und für immer mit dem Akkusativ.
Eine weitere Möglichkeit der Kasusbestimmung besteht darin, die zu bestimmende Wortgruppe durch ein anderes Wort zu ersetzen, an welchem der Kasus erkennbar ist. Insbesondere Namen und Feminina enthalten viele identische Formen. Will man im Satz
Das Buch gehört Lisa.
den Kaus von Lisa bestimmen, ersetzt man das Wort durch eine andere Nominalgruppe:
Das Buch gehört der Frau.
Die Bestimmung ist noch immer nicht eindeutig, denn der Frau kann sowohl Genitiv als auch Dativ sein.
Das Buch gehört dem Mann.
Nun ist der Dativ eindeutig erkennbar, denn die Form dem Mann kommt in keinem anderen Kasus vor.
Fazit
Auch ohne die Frageprobe ist der Kasus teilweise an den Formen erkennbar. Ansonsten kann der Kasus mit Hilfe des Satzkontextes oder durch Ersetzen erkannt werden.
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