Bei Ihrem Zweifelsfall geht es um den Bereich der
Wortbildung. Sie möchten wissen, wie Ihre okkasionelle Wortschöpfung (= ein für einen bestimmten Zweck gebildetes Wort) hinsichtlich der
Getrennt- und Zusammenschreibung richtig ist. Ihr Beispiel ist die Nominalgruppe
(das) ständige Wasserkesselhochziehen, die aus einem Adjektiv und einem Substantiv, das durch Komposition gebildet wurde, besteht. Zunächst werden wir sehen, weshalb das Adjektiv nicht Teil des Substantivs ist, und danach, welche Wortbildungsverfahren an der Entstehung von
Wasserkesselhochziehen beteiligt sind. Abschließend wird geklärt werden, wann man den Bindestrich zur Hervorhebung benutzt.
Obwohl die Anzahl der Fälle, in denen ein
Kompositum (= ein aus mindestens zwei Wörtern zusammengesetztes Wort) aus einem Adjektiv und einem Nomen gebildet wird, im Vergleich zu beispielsweise Nomen-Nomen-Komposita seltener ist, lassen sich dennoch leicht viele Beispiele aus der Alltagssprache finden.
Beispiel
(1)
Großhandel
(2)
Kurzurlaub
(3)
Schnellstraße
(4)
Höchsttemperatur
(5)
Armeleuteessen
(6) *
Ständigewasserkesselhochziehen
Die Kennzeichnung durch den Asterisk (= Sternchen), weist darauf hin, dass Beispiel 6 inkorrekt ist. Dies liegt daran, dass das Adjektiv
ständig nicht wie in den anderen Fällen in eindeutiger Beziehung zu seinem Bezugswort steht. So handelt es sich bei den Komposita 1 bis 5 um feste Verbindungen, während
ständig nur attributiv zu
Wasserkesselhochziehen verwandt wird (vgl. Duden 9: 548; „Kompositum“). Die nachstehenden Beispiele veranschaulichen die eindeutige Beziehung zwischen Adjektiv und Bezugswort.
Beispiel
(7) Großhandel = Wirtschaftszweig, in dem mit großen Mengen gehandelt wird
(8) Kurzurlaub = kurzer Urlaub
(9) Schnellstraße = gut ausgebaute Straße für Schnellverkehr
(10) Höchsttemperatur = höchste Temperatur
(11) Armeleuteessen = sehr einfaches Essen, das sich arme Leute leisten können
Der bislang beiläufig eingeführte Begriff
Komposition beschreibt eine der produktivsten Wortbildungsarten des Deutschen, bei der sich aus der Verbindung von mindestens zwei Wörtern ein neues Wort ergibt. Bei
Wasserkesselhochziehen handelt es sich um eine
Determinativkompositum, was heißt, dass der zweite Teil durch den ersten bezüglich seiner Bedeutung näher bestimmt wird (vgl. grammis: „Komposition“,
http://hypermedia.ids-mannheim.de/ca...sicht?v_id=130). Entsprechend geht es hier nicht in erster Linie um einen Wasserkessel, stattdessen steht das Hochziehen im Fokus. Was hierbei irritierend wirken kann, ist, dass es sich bei
Wasserkessel und
Hochziehen selbst um Komposita handelt, wobei
Hochziehen sogar noch etwas komplexer ist, was wir gleich sehen werden.
Beispiel
(12) Wasser (Substantiv) + Kessel (Substantiv) = Wasserkessel (Substantiv)
(13) hoch (Adjektiv) + ziehen (Verb) = hochziehen (Verb)
Dass immer die zweite Einheit im Vordergrund steht, lässt sich auch gut daran erkennen, dass jene die Wortart des Wortbildungsprodukts vorgibt. Weiterhin zeigt dies, dass das Verb in unserem Fall substantiviert werden muss, was hinsichtlich der Wortbildungsarten als
Konversion bezeichnet wird. Bei der Konversion werden hauptsächlich Substantive aus Verben und Adjektiven gebildet, wobei für uns besonders der erste Fall relevant ist. Die Ausgangsform dieser Wortbildungsart sind der Infinitiv (
ziehen ->
das Ziehen), „sowie der Präsens-, Präterial- oder Partizipialstamm einfacher und komplexer Verben (
kaufen ->
der Kauf,
binden ->
der/das Band,
fortschreiten ->
der Fortschritt)“ (Duden 4: 725; Randnummer 1104). Dem deverbalen Substantiv
Hochziehen liegt dementsprechend ein Infinitiv zugrunde.
Da unser Determinativkompositum aus dem Substantiv
Kessel und dem deverbalen Substantiv
Hochziehen gebildet wurde, können wir es noch einer spezifischeren Untergruppe von Determinativkomposita zuordnen, den
Rektionskomposita . Von einem Rektionskompositum spricht man, wenn durch die deverbale zweite Einheit des Kompositums eine Leerstelle eröffnet wird, die sozusagen vom Verb geerbt wurde (vgl. Duden 4: 719; Randnummer 1097). Bei
Hochziehen wäre diese Leerstelle ein Akkusativobjekt. Ähnlich wie in einem Satz wird diese Leerstelle bei der Wortbildung besetzt.
Beispiel
(14) Er
zieht den Kessel hoch.
(15) das
Kesselhochziehen
Andere Rektionskomposita, die analog zu
Wasserkesselhochziehen gebildet werden, sind beispielsweise
(das) Eislaufen und
(das) Teetrinken. Beide Beispiele wurden aus einen Substantiv und einem deverbalen Substantiv, das der Infinitivform entspricht, gebildet.
Zuletzt soll es nun noch um die Schreibweise mit oder ohne Bindestrich gehen. Vorab ist hierbei anzumerken, dass es sich immer bei der Verwendung des
Bindestrichs zur Hervorhebung um Kann-Regeln und nicht um Soll-Regeln handelt. Folglich ist man zumindest bei dieser Art des Bindestrichs, der sich beispielsweise vom Ergänzungsbindestrich unterscheidet, auf der sicheren Seite, wenn man ihn weglässt. Die Regel lautet nämlich, dass „Komposita im Allgemeinen zusammengeschrieben [werden], ganz gleich, ob ihre Bestandteile einfach oder selbst schon zusammengesetzt sind“ (Duden 9: 172; „Bindestrich“). Nichtsdestotrotz gibt es einige Fälle, in denen es sinnvoll sein kann, ihn einzusetzen.
Einer dieser Fälle könnte
Wasserkesselhochziehen sein, wenn man der Meinung wäre, dass dieses Kompositum
unübersichtlich ist. Dann könnte man dort einen Bindestrich setzen, wo sich bei sinngemäßer Auflösung der Verbindung die Hauptfuge ergäbe (vgl. Duden 9: 172; „Bindestrich“).
Beispiel
(16) Wasserkessel
-Hochziehen
Ebenfalls angebracht ist der Bindestrich, wenn durch ihn
Missverständnisse vermieden werden können, die dadurch auftreten, dass nicht klar ist, wo die erste Einheit aufhört und folglich die zweite beginnt, da verschiedene Varianten mit unterschiedlichen Bedeutungen denkbar sind. Beim Beispiel „
Druckerzeugnis, das sowohl
Druck-Erzeugnis wie
Drucker-Zeugnis bedeuten könnte“ (Duden 9: 173; „Bindestrich“), wird dies deutlich.
Ein weiterer Grund für die Verwendung des Bindestrichs wäre das „Zusammentreffen von
drei gleichen Vokalbuchstaben in substantivierten Komposita“ (ebd.). Es gibt also zwei mögliche Schreibweisen bei Wörtern wie „
Tee-Ernte / Teeernte [und]
See-Elefant / Seeelefant“ (ebd.), wobei die jeweils erste Schreibung, also mit Bindestrich, empfohlen wird.
Fazit: Wasserkesselhochziehen ist ein Rektionskompositum, das durch das Attribut
ständig näher bestimmt wird. Allerdings steht
ständig nicht etwa wie
klein bei
Kleinkind in einer so eindeutigen Beziehung zu dem Substantiv, dass es sich mit jenem zu einem Kompositum verbinden könnte. Die Schreibweise als entweder
Wasserkesselhochziehen oder
Wasserkessel-Hochziehen richtet sich danach, ob das Kompositum als unübersichtlich empfunden wird. Ist dies der Fall, kann es mit Bindestrich geschrieben werden, obligatorisch ist dies aber nicht.